Gedanken einer Asperger-Autistin über die Schwierigkeiten im Umgang mit Nähe
Seit dem Teenageralter beschäftige ich mich mit der Frage nach dem Grund für meine Schwierigkeiten im Umgang mit Freundschaften und Beziehungen.
Einerseits wünschte ich mir schon damals nichts sehnlicher als eine Beziehung, auch deshalb, weil sie ein Stück Normalität bedeutet und mir das Gefühl vermittelt, genauso zu sein wie die Menschen in meinem sozialen Umfeld. Andererseits macht mir diese besonders intensive Form von Nähe Angst, weil ich Probleme damit habe, sie wahrzunehmen und wiedergeben zu können. Sie ist mir in vielen Punkten unbegreiflich.
Im Gegensatz dazu ist räumliche Nähe etwas, das sich definieren lässt.
Außerdem habe ich jederzeit die Möglichkeit, diese zu begrenzen, in dem ich mich entferne, wenn sie mir unerträglich wird.
Ich weiß um mein großes Bedürfnis, mich zurück zu ziehen, obwohl ich den Grund dafür nicht kenne. Oft bin ich mir selber Gemeinschaft genug und entscheide mich ganz bewusst für das Alleinsein.
Eine Beziehung ohne die Möglichkeit einer räumlichen Distanz und der damit verbundenen klaren Abgrenzung zu dem Partner ist mir unmöglich. Alleine die Vorstellung, ständig einen Menschen um mich herum zu haben, mit ihm in einer Wohnung zu leben, löst in mir ein großes Unbehagen bis hin zur Panik aus.
Permanente räumliche Nähe bedeutet für mich gleichzeitig Verlust persönlicher Distanz.
Die Einhaltung einer persönlichen Distanz ist für mich die Voraussetzung, soziale Kontakte herstellen und halten zu können. Ein Zuviel an Nähe führt dazu, dass ich mich in meine Welt zurückziehe, die mir Sicherheit und Schutz gibt.
Möglicherweise liegt das Problem darin, dass ich Nähe – egal, ob es ich dabei um räumliche, körperliche oder empathische Nähe handelt – anders wahrnehme.
Empathische Nähe ist zum Beispiel etwas, das ich, wenn überhaupt, nur schwer erfassen kann. Eine lediglich empfundene Nähe spüre ich nicht. Sie muss schon ganz konkret und unmittelbar sein. Ich verstehe nicht, wenn mir jemand sagt, er sei mir in Gedanken nah.
Wie und wo kann ich Nähe, die nur in Gedanken eines anderen vorhanden ist, wahrnehmen?
Wie fühlt sich empathische Nähe an, wodurch wird sie übermittelt? Ist sie reell existent oder nur eine Illusion?
Menschen, die sich emotional nahe sind, zeigen das auch gerne durch körperliche Nähe. Liegt hier vielleicht der Grund dafür, dass ich körperliche Nähe nicht gut ertragen kann?
Weil ich empathische Nähe nicht erfassen, nicht spüren kann, habe ich deshalb Schwierigkeiten, Körperkontakt als Ausdruck empathischer Nähe, als ihr fühlbares Zeichen zuzulassen?
Verwirrt mich Körperkontakt, weil mir das damit zum Ausdruck gebrachte Gefühl von emotionaler Nähe nicht oder nur bedingt vertraut ist?
Menschen, die sich emotional nahe sind, sehnen sich in der Regel auch nach räumlicher Nähe. Ein Paar, welches sich liebt, möchte irgendwann zusammenziehen und in einer Gemeinschaft leben – für mich ein unvorstellbarer Gedanke. Warum?
Darüber habe ich oft nachgedacht, ohne bisher eine zufriedenstellende Erklärung gefunden zu haben. Vielleicht hängt das mit dem Ungleichgewicht bzw. einer Asymmetrie zwischen empathischer und räumlicher Nähe zusammen? Wenn beide sich sowohl in dem Maß, in dem sie tatsächlich vorhanden sind als auch in dem, wie sie von dem jeweiligen Partner bzw. der jeweiligen Partnerin empfunden werden, zu sehr unterscheiden, dann entsteht ein Ungleichgewicht, das im schlimmsten Fall Nähe unerträglich macht.
Wenn ich einen Menschen kennen lerne, entsteht sehr schnell ein Ungleichgewicht bezüglich des Empfindens von Nähe. Ich benötige reale Nähe in Form von verbaler Kommunikation (Treffen, Telefonate, Mails, Briefe), um eine Beziehung oder Freundschaft aufrecht erhalten zu können, weil ich empathische Nähe nicht erfassen kann. Findet diese Kommunikation nicht in regelmäßigen, für mich verlässlichen Abständen statt, so ist diese Beziehung für mich nicht (be)greifbar und der Kontakt bricht ab, weil er für mich nicht mehr existent ist. Nimmt sie aber einen zu großen Raum ein, dann wird mir die dadurch entstehende Nähe zu viel und ich ziehe mich zurück.
Des weiteren braucht der oder die andere Person reale Nähe nicht so dringend wie ich, da er bzw. sie in Gedanken Nähe zu mir aufbauen und empfinden kann und davon ausgeht, dass dies im umgekehrten Fall genauso ist.
Die Diskrepanz sowohl in der Wahrnehmung als auch in der Akzeptanz von Nähe hat in der Vergangenheit immer wieder dazu geführt, dass ich Kontakte nicht halten konnte und Beziehungen nicht zustande gekommen oder sehr schnell gescheitert sind.
Es ist für Außenstehende nicht einfach, meine Schwierigkeiten in der Regulierung von Nähe und Distanz nachzuvollziehen und als Teil von mir anzunehmen.
Ich selber habe ja auch erst durch die Diagnose Asperger-Syndrom eine Erklärung dafür gefunden und versuche nun, mein Verhalten in sozialen Situationen zu reflektieren und mit dem Wissen um meine Problematik neu zu erleben.