Schau mich an

Gedanken einer Asperger-Autistin zum Thema Blickkontakt

Schau mich an, wenn ich mit dir rede

Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Satz früher zu hören bekommen habe.
Es sei unhöflich und ein Zeichen schlechter Erziehung, jemanden während eines Gesprächs nicht anzuschauen.
Aber mir fiel es schon als Kind schwer, Blickkontakt über längere Zeit zu halten.
Das tat mir sogar in den Augen weh. Auch heute noch. Dann muss ich weg schauen, weil ich diese Situation einfach nicht länger ertragen kann.
Blicke sind unangenehm, weil ich oft auch nicht viel damit anzufangen weiß, außer dass sie mich verwirren und verunsichern.
Da es aber zur Höflichkeit gehört und mir immer wieder gesagt wurde, habe ich im Laufe der Zeit gelernt, meinen Blick auf einen Punkt nahe der Augen meines Gegenübers zu fixieren (zum Beispiel die Stirn) oder durch einen Menschen hindurch zu schauen.
Erleichtert hat mir dieses Verhalten eine kleine Fehlstellung des linken Auges.
Die meisten Menschen glauben, es läge an dieser Fehlstellung, dass ich Probleme habe, ihnen während eines Gesprächs in die Augen zu schauen. Ich habe sie in dem Glauben gelassen, weil es mir in der Vergangenheit geholfen hat, mich nicht rechtfertigen oder erklären zu müssen.
Was hätte ich denn auch sagen sollen, zumal ich den eigentlichen Grund gar nicht wusste, in solchen Momenten nur spürte, dass ich anders war als die anderen, denen es offensichtlich keine Schwierigkeiten bereitete, Blickkontakt herzustellen und zu halten.
„Es liegt an deinem Blick, der tut mir in den Augen weh.“
Das hätte sicher niemand verstanden oder man hätte mich wieder gefragt, ob ich nicht mehr alle Tassen im Schrank habe (die habe ich übrigens als Kind wirklich im Wohnzimmerschrank gezählt, als ich diesen Satz zum ersten Mal zu hören bekam).

Je näher mir ein Mensch gegenübersteht -oder sitzt, desto schwieriger fällt es mir, Blickkontakt herzustellen (selbst, wenn es nur für einen Moment ist) oder auf meine Alternativen zurückzugreifen. Meist schaue ich dann auf den Boden oder – wenn ich jemand am Tisch gegenüber sitze – auf einen Gegenstand oder einen imaginären Punkt auf dem Tisch.
In solchen Situationen bin ich sehr unruhig und muss mich mit meinen Händen beschäftigen.
„Bleib mit den Händen aus dem Gesicht.“ – „Lass doch deine Haare in Ruhe.“ – „Hör die ständige Herumfuchtelei auf.“
Aber das ist die einzige Möglichkeit, mich auf das Gespräch konzentrieren zu können und nicht nur darauf, dem direkten Blickkontakt auszuweichen.
Auch, wenn es durch die „Spielerei“ mit den Händen so aussehen mag, als würde ich nicht zuhören oder gelangweilt sein von dem Gespräch. Das Gegenteil ist der Fall.
Bei Menschen, die mir sehr vertraut sind, fällt es mir leichter, sie während eines Gesprächs anzuschauen. Die Augen sind mir dann nicht mehr fremd und verwirren mich nicht.
Muss ich mich allerdings zu sehr auf das Gespräch konzentrieren, weil die Umgebung laut ist (auf der Strasse oder in einem Restaurant), dann suche ich mir lieber einen fixen Punkt, auf den ich meinen Blick richten kann.
Was ich gar nicht mag, sind Menschen, die mich anstarren oder ständig beobachten.
Diesen gehe ich am liebsten aus dem Weg.

Im Sommer trage ich immer eine Sonnenbrille, sobald ich mich draußen aufhalte.
In erster Linie brauche ich sie wegen meiner extremen Lichtempfindlichkeit.
Aber sie schafft mir noch einen weiteren Vorteil. Mit Sonnenbrille fällt es mir leichter, Menschen während des Gesprächs anzusehen, weil sie dann nicht feststellen können, wohin ich schaue. Mir hat einmal jemand gesagt, er fände es verwirrend, sich mit einem Menschen zu unterhalten, der eine Sonnenbrille trägt, weil dadurch der direkte Blickkontakt schwierig wäre.
Mir macht das nichts aus, ganz im Gegenteil. Die Sonnenbrille ist für mich wie ein Schutzschild vor Blicken, die ich nicht oder nur sehr schwer interpretieren kann.

Ich erinnere mich sehr gut daran, dass ich nie verstanden habe, warum Menschen sagen, sie könnten einem anderen Menschen jeden Wunsch von den Augen ablesen. Wo stehen denn die Wünsche der Menschen in den Augen geschrieben? Das habe ich mich so oft gefragt. Ich konnte da nie etwas lesen. Das war und ist mir ein Rätsel. Es ist doch viel einfacher, Wünsche verbal zu äußern. Dann weiß jeder, was gemeint ist und es gibt keine Missverständnisse – solange die Worte klar und deutlich gewählt sind und nicht weitere Rätsel beinhalten.

Anmerkung zum Schluss:

Ich weiß bis heute nicht, welche Farbe die Augen einer Freundin haben, die mir wirklich sehr viel bedeutet. Mir sind ihre Worte wichtiger, das, was sie mir sagt und schreibt.

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